Vorstellung eines autarken Lebens
Der erste Teil ist mit der griechischen Klassik kulturell eng verwoben. Für diese war die Vorstellung eines autarken Lebens ein wichtiges Ideal. Dabei war Autarkie als Ideal zweifellos nicht für die große Mehrheit der athenischen Bevölkerung relevant, sondern nur für die männlichen Haushaltsvorstände, die sich als Vollbürger, also als polites verstanden. Für diejenigen, die nicht am politischen Leben teilhatten, d.h. für die Privatleute oder so genannten idiotai, war Autarkie weder erstrebenswert noch realisierbar. Es ist interessant, dass der Gegenbegriff zum Vollbürger uns als Schimpfwort erhalten geblieben ist. Denn obwohl der Terminus ‚idiotes‘ zur Zeit der griechischen Klassik nicht primär wertend, sondern zur Benennung der privaten Lebensform verwendet wurde, hat schon Aristoteles diese Lebensform in seiner Nikomachischen Ethik als eine nicht voll entwickelte dargestellt.2 Denn für Aristoteles gibt es nur zwei wirklich gute Lebensformen: Das theoretische, betrachtende Leben der Philosophie und das praktische Leben. Dieses versteht er als Teilhabe an den Angelegenheiten der polis und zwar im Sinne von Kooperation. D.h. es geht den Bürgern darum, zusammen für das gemeinsame Gute zu arbeiten, wodurch wiederum auch dem Einzelnen genützt wird. Wenn es ihnen aber um Kooperation geht, verwundert es nicht, dass keiner der männlichen Haushaltsvorstände bereit ist, sich einem Herrschaftssystem unterzuordnen. Vielmehr wird philia politike, die Freundschaft unter den autarken Bürgern, in der Nikomachischen Ethik als die Basis der polis dargestellt.3
Zweifellos ist die berühmte Szene der Ilias, in der sich Achill dagegen auflehnt, dass ihm seine Lieblingssklavin Briseis von Agamemnon genommen wird, eine Vorform des Ideals der Autarkie der griechischen Klassik. Doch wie setzt sich dieses Ideal über die Zeit fort? Meiner Ansicht nach zieht sich eine klare Verbindungslinie weiter zu Immanuel Kant, dem großen Autonomie- und Aufklärungsphilosophen deutscher Sprache. Denn sowohl für die Vorstellung von Autarkie als auch für die von Autonomie, die in der Aufklärung ungleich wichtiger ist, spielt es eine wichtige Rolle, das eigene Handeln nach bestimmten, nämlich selbst gegebenen Regeln zu organisieren. Kant drückt diesen Gedanken in der Forderung aus, dass die Maximen der eigenen Handlung verallgemeinerungsfähig sein sollen.4 In der Verallgemeinerungsfähigkeit unserer subjektiven Maximen manifestiert sich für Kant zudem der Vernunftcharakter des Menschen. Denn ein Vernunftwesen kann nur frei sein, wenn es sich nur solche Maximen zu Eigen macht, die als allgemeines Gesetz der Gesellschaft taugen würden. Autonomie und Autarkie fordern also Selbstgesetzgebung bzw. die Achtung vor dem Sittengesetz. Das ist die Kantische Idee, die einen antiken Kern hat.